Der Tag an dem ich heilige Kühe schlachtete. Oder was der Aufenthalt in Wudang veränderte …

Joshua und Jörg im Purple Heaven Palace in den Wu Dang Bergen

Joshua und Jörg im Purple Heaven Palace in den Wu Dang Bergen

Hallo zusammen,
als Joshua, Adele und ich nach Wudang Shan aufbrachen, hatte ich keine Ahnung was mich erwartet.
 
Ich hätte nicht gedacht, dass ich auf dieser Reise beginnen würde Dinge zu verstehen, die unser Groß-Meister Rondalli, mir seit unseren ersten gemeinsamen Schritten nahezulegen versuchte. Auch mein Mentor Curtis Clavin Dittrich sagte mir immer wieder, dass die Härte die man heute im Shaolintempel erlernt einen Holzweg darstellt. Ich dachte immer ich hätte den Satz, „sei wie das Wasser“, einigermaßen verinnerlicht. Doch nun weiß ich, dass ich mit der Wudang-Reise diesen Weg erstmals wirklich beschritten habe.
 
Mein Lehrervater Rondalli sagte mir immer folgendes: „Kung-Fu ist nur schlecht ausgeführtes Tai Chi. Kung-Fu, Qi-Gong und Tai-Chi-Chuan müssen gemeinsam geübt werden. Man kann diese Systeme nicht voneinander trennen, wenn man sie wirklich verstehen möchte!“ In Wudang wurden auch diese Sätze mir endlich veranschaulicht.
 
In der daoistischen SengFeng Kampfkunst ist der Übergang zwischen Kung-Fu, Tai-Chi-Chuan und Qi-Gong absolut fließend. Es gibt Tai Chi Formen die wie Kung-Fu aussehen, Kung-Fu Formen die Qi-Gong ebenso beinhalten wie Schritte aus dem was wir als Tai-Chi kennen und so manche daoistische Qi-Gong-Form würde jeder Außenstehende als Tai-Chi-Chuan identifizieren.
Nun fragst du dich warum ich diesen Beitrag mit dem Satz, „Der Tag an dem ich heilige Kühe schlachtete“, eingeleitet habe. Nun, als ich bisher in China trainierte, hörte ich folgende Worte täglich, einige hundert Mal:
 

  • Falsch!
  • Härter!
  • Mehr Kraft!
  • Tiefer!
  • Schneller!

Diese Aufforderungen könnte man von einer Mobilen-App, einfach in zufälliger Reihenfolge, energisch wiedergeben lassen, um ein echtes Shaolintempel Trainingsgefühl zu erhalten. Mein Ehrgeiz trieb mich natürlich voran und gestaltete so mein Bild von Shaolin-Kung-Fu als äußere, kraftvolle und harte Kampfkunst.
 

In WuDang spiegelt sich das Streben nach Harmonie nicht nur in den Dekorationen der Räume wieder, sondern auch in der Kampfkunst

In WuDang spiegelt sich das Streben nach Harmonie nicht nur in den Dekorationen der Räume wieder, sondern auch in der Kampfkunst

Dann kam das erste Training in Wudang Shan.
Dort drangen ich folgende Anweisungen, getragen von der ruhigen Stimme meines Trainers, an mein Ohr:
 

  • Weicher!
  • Immer entspannt bleiben.
  • Geh so tief wie du dich wohl fühlst.
  • Es ist richtig, wenn es deine Form ist.
  • Jeder macht diese Form so wie es seiner Natur entspricht.
  • Ich zeige dir heute meine Form, in zwei Wochen zeigst du mir deine Form.

Kurz gesagt: „Mach dich locker!“

Spaß ist in Wudang strengstens erlaubt. Was ist die wichtigsten Frage an jedem harten Trainingstag? Genau! Was gibt es zu Essen!

Spaß ist in Wudang strengstens erlaubt. Was ist die wichtigsten Frage an jedem harten Trainingstag? Genau! Was gibt es zu Essen!

Man könnte sagen:„ In Shaolin entscheidet der Lehrer über richtig oder falsch! In Wudang wird diese Entscheidung immer vom Leben getroffen! Es ist fast so als wäre man in der Shaolinkampfkunst nur der Gast eines Banketts, in Wudang hingegen ist man der Gastgeber und der Koch des Festessens.
 

Diese Haltung ermöglicht ein völliges neues Verstehen der Kampfkunstsysteme und letztlich des eigenen Körpers. Es geht auf einmal nicht mehr darum den Meister zu kopieren oder stumpf der Tradition nach zu tanzen. Endlich ist der Schüler befreit von Dogmen und Idealbildern. Frei nach dem daoistischen Prinzip: Alles hat seine Natur und muss danach Wirken! In Wudang ist selbstständiges Denken und aktives Arbeiten mit den gezeigten Prinzipien gefragt.
 
Der Schüler soll sich und seine Persönlichkeit in den Übungen verwirklichen können. Diese Ansätze waren bei meinem Training in Shaolin meist schnell mit dem Wort, FALSCH, bestraft worden. Mal ganz ehrlich. Wie oft ist es dir schon passiert, dass du unter einem Meister eine Form erlernt hast und später, irgendwann bei einem anderen Lehrer am Unterricht teil genommen hast, wo dein jahrelang erlerntes Formenwissen sofort als falsch ausgelegt wurde. Im besten Fall wurden meine Anstrengungen dann mit dem Satz belohnt: „Wer hat dir denn das, so beigebracht?“
 
Die Erlebnisse beim Training in Wudang gaben mir eine ganz neue und bisher fremde Motivation. Ich war immer davon überzeugt, dass meine Laufbahn im Kung-Fu, altersbedingt, in einigen Jahren gänzlich dem Tai-Chi und Qi-Gong weichen müsse. Mit der Geistes- und Körperhaltung der Seng Feng Schule kann ich solche Gedanken getrost fallen lassen.
 

Um Neues zu erleben, braucht man den Mut durch fremde Tore zu schreiten. In Wudang findet man nicht nur Bauwerke sondern auch Wege ...

Um Neues zu erleben, braucht man den Mut durch fremde Tore zu schreiten. In Wudang findet man nicht nur Bauwerke sondern auch Wege …

Ich habe nun begonnen meine Shaolin-Formen den neuen Eindrücken zu unterwerfen. Das Resultat ist wundervoll.
Mehr möchte ich heute gar nicht schreiben, denn in diesen Zeilen stehen schon jetzt genügend Anregungen, die einen Kampfkünstler entweder zu Fragen, zu eigenen Ideen oder zu Selbstversuchen anregen können. Ich würde mich über deine Erfahrungen sehr freuen. Scheue dich auch nicht, diesen Text kritisch zu behandeln.
 
Wer kann schon behaupten, dass er die Kampfkünste und Ihre Traditionen komplett verstanden hat.
Wie alles im Leben sind die Ansichten eines wirklich Praktizierenden subjektiv und immer im Fluss.
 
Das Üben des Prinzips hat mich zu folgenden Denkweisen geführt. „Der Übende der seinen Geist verhärtet, muss auch damit rechnen einen verkrampften Körper sein eigen zu nennen. Wer aber sein Herz und seinen Geist für Neues offen hält und den natürlichen Lauf der Dinge achtet, der kann wahrscheinlich irgendwann verstehen was der Satz „Sei wie das Wasser“ wahrlich bedeutet. Und zwar ohne dabei zu vergessen, dass weich nicht kraftlos bedeutet! Wasser kann einen kleinen, verträumten Bach füllen aber auch als Tsunami alles nieder reißen und zerstören.
 
Am Ende habe ich noch einen Gongan aus dem alten China für dich ausgesucht:
Der Schüler fragt: „Meister, was ist das Dao (Weg)?“
Der Meister antwortet: „Schau unter deine Füsse!“
 
Ich freue mich auf deine Ideen zu diesem Thema.
Alles Gute und bis zum nächsten mal.
Vielleicht hat der Text dich dazu gebracht, über deine heiligen Kühe nachzudenken. Diese findest du sicher nicht nur in der Kampfkunst, sonder bei jedem Schritt im Alltag.
 
Viel Licht und Freude, wo auch immer deine Füsse dich hintragen.
 
Jörg Roth

Jörg und sein Trainer James auf dem Trainingsplatz der China WuDang Kung fu Akademie. http://www.daoistkungfu.com

Jörg und sein Trainer James auf dem Trainingsplatz der China WuDang Kung fu Akademie. http://www.daoistkungfu.com

Nun bist du gefragt! Schicke uns deine Eindrücke! Teile und kommentiere unseren Beitrag. Wenn du irgendwelche Fragen zu unserem Training oder unseren Lehrern hast. Scheue dich nicht die Kontaktfunktion unserer Webseite zu Nutzen.
 
Und nun …
alles Gute und viel Freude beim Training
 
dein Team der Tai Chi Akademie Kaiserslautern

2 Kommentare
  1. thmueller sagte:

    Ach ja. Und was Du von den Lehrern sagst, die das gelehrte anderer gering schätzen. Durch dieses Dilemma geht gerade ein Kollege durch, der in unserer Firma Sicherheitsfachkraft werden möchte. Das nervt, weil er ja auch dürch prüfungen muß und er nicht weiß, was nun prüfungsrichtig ist. Nervig. Ich würde das nie so machen, sondern fragen aus welchem Hintergrund ein anderer Lehrer gerade dieses gelehrt hat. Jetzt aber los.

  2. thmueller sagte:

    Jörg, /m

    einen Moment den ich in unserer „Beziehung“ sehr schätze, war, als wir uns am Morgen des legendären 3-Stundenkonzerts unterhalten haben. Du kamst von Deiner und Lasterbalks Seite her auf einen Satz, der ähnlich einem bekannten in unserer Kirche war: Sie nahen sich mir mit den Lippen, aber ihr Herz ist ferne von mir.“ Dies hat meine Sichtweise aus Saltatio Mortis sehr geändert.

    Auch hier kommst Du von Deiner Seite auf einen Punkt, von dem ich gerade auch von meiner her bewegt bin. Sicherlich geht es hier nur um ein Detail und die „Auflagerpunkte“ (Wie bei einer Brücke) sind komplett andere. Aber der gemeinsame Punkt ist: „Gehe Deinen Weg!“ Wie Du mit dem Zitat schon sagst: Dein Weg ist unter DEINEN Füssen.

    Menschen neigen dazu Checklisten aufzustellen um genau zu beschreiben, was richtig und was damit falsch ist. Und mit diesen Checklisten legen wir bestimmte Praktiken fest, zum Beispiel jeden Tag für eine bestimmte Zeit in den Schriften zu lesen. Aber…

    „By emphasizing the practices themselves rather than the purpose of those practices, we ritualize the behavior. We run the substantial risk that we will start to associate the practices with righteousness, holiness and spiritual power. The practices can become our god. Yet the heavenly directive is to come unto Him.“

    Und für jeden Menschen mag dieses „Studieren“, angepasst an den jeweiligen Lebenshintergrund, anders aussehen: „If the ward members worked as custodians in the early hours of the morning they might have a conversation with Him as they dusted and scrubbed. Or they might recall and ponder favorite passages of scripture while walking or driving to class. During their dinner conversations they might share appreciation for a blessing He granted them during the day’s activities. On Sunday they might take notes of any impressions or insights they received that they felt came from Him. On days when they were challenged to find the time for in-depth scripture study, they might grab five minutes to dive into a personally meaningful scripture.

    Searching the scriptures is good. But the purpose is not to keep God from renouncing us but to come to know His heart.“

    Ich habe das Ganze jetzt natürlich sehr kurz gehalten, aber folgendes ist dabei auch dringend zu beachten. Du grüßt zur Zeit mit dem Satz „Viel Licht“. Ich hoffe, Du bist mir nicht böse, wenn ich das vorerst mit dem Heiligen Geist gleichsetze. Aber egal ob „Licht“ oder „Geist“. Beide wollen uns helfen für uns den richtigen Weg zu finden. Deshalb ist Meditation so wichtig. Ein Aspekt wird in einem anderen Buch erkäutert, daß ich mir besorgt habe: „Meditation ist die Gabe, die uns immer gibt. Wir wir Meditierenden herausgefunden haben, auch Anfänger, wenn man auf einer täglichen Basis meditiert, auch wenn es auch nur 20 Minuten täglich sind, macht es den Rest unseres Lebens sehr viel klarer, effizienter und auch mitfühlender. Das Leben läuft ruhiger in vielen freudig-überraschenden Wegen wenn wir mit Meditation ernsthaft anfangen. Es ist eine Investition von unserer Zeit, die große Gewinne bringt, die größer und größer werden, je ernsthafter jemand meditiert. Ich bin zuversichtlich, daß jeder wie ich herausfinden wird, daß er mehr an einem Tag schafft – innerlich, außerlich und mit Anderen – je mehr er täglich meditiert. Um es kurz zu sagen: Jede Minute, die wir in Meditation verbringen bringt uns zwei extra Minuten, mindestens. Und diese zwei Minuten werden friedvoler, effizienter, liebevoller und, ja, gesitiger sein, egal wie belanglos oder gar unerfreulich eine Aktivität ist, in der wir beschäftigt sind, als sie gewesen wären, wenn wir es nicht so getan haben.“

    Pam Blackwell, Christ-Centered Meditation, Handbook for spiritual Practice, mal eben aus der hohlen Hand übersetzt. Onyx Press, USA

    Das obere Zitat ist aus: http://ldsmag.com/is-your-scripture-study-a-ritual-or-relationship/

    Ich weiß, kurz und grob. Aber mehr Zeit habe ich zur Zeit leider nicht. Zu wenig meditert.Aber ich übe ja noch.:-)

    Alles Gute
    Thomas

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