1. Unsere Delegation, zusammen mit Dharma-Meister Yan Cheng. 35. Generation des Shaolin Tempels.

Vom Müssen und Können

Hallo Zusammen,
am 31.05.2014 fand in Kaiserslautern, ein Workshop mit Dharma-Meister Yan Cheng statt. Wir waren natürlich dabei und unsere Katrin hat das Ereignis in den folgenden Zeilen zusammengefasst. Viel Spaß beim Lesen.

Dass der Chan-Buddhismus auch heute allgegenwärtig ist, möchte ich an diesem kleinen Einblick in einen ganz besonderen Tag meines Lebens aufzeigen, aber zuerst: Was macht eine Geschichte zu einer guten Geschichte? Genau, drei Mal Müssen, ein Mal Können. Denn die Geschichte muss uns von Anfang an interessieren, sie muss uns durchweg fesseln, sie muss unerwartet zu Ende gehen und sie kann uns zum Nachdenken anregen. Also möchte ich euch eine Geschichte erzählen, aber entscheidet selbst, ob dies eine Gute ist:

Es ist Samstag Morgen, ein ganz normaler Morgen, er fühlt sich nicht wie Wochenende an, denn ich muss um sieben Uhr aufstehen. Warum? Weil heute eben kein ganz normaler Samstag Morgen ist, denn heute geht es nach Kaiserslautern zu meinem zweiten Chan Workshop von Shi Yan Cheng. Also, auf gehts! Fertigmachen und durch die noch leeren Straßen der Weltmetropole Mannheim und über den ruhig darfließenden Neckar zum Bahnhof. Dieser Tag sollte ein Tag der Überraschungen werden und die Erste folgt auf dem Fuße.
Am Bahnhof angekommen verpasse ich natürlich gerade um Sekunden meine Bahn und als ich mich endlich durch die vollgestopfte Bahnhofshalle gezwängt habe, kann ich gerade noch sehen, wie der Zug vom Gleis rollt. Das ist mal wieder typisch, denke ich leicht genervt und stiefele zurück in die Halle. Eine halbe Stunde warten, da kann ich mir auch noch ein Frühstück gönnen. Zehn Minuten später stehe ich mit einer Backwarentüte im Anschlag und Rosinenbrötchen im Mund glücklich auf dem Bahnsteig, als mich eine interessant gekleidete Frau skeptisch beäugt. Und zwar wirklich skeptisch. Um genau zu sein umrundet sie mich mich betrachtend. Mit unverhohlener Neugier betrachte ich sie ebenfalls, wie sie da in ihrer leuchtend blauen nonnenartigen Kleidung vor mir steht, ihre Haut, der Sonne zum Trotze, in dunklem Schokoladenbraun gefärbt. Plötzlich spricht sie mich, auf meine Brötchentüte deutend an: „Du musst doch Menschen helfen, denn deinem Handgelenk nach zu urteilen musst du doch Buddhist sein. Ich muss den nächsten Zug Richtung Mainz nehmen, kannst du mir also helfen, mein Gepäck in den Wagon zu laden?“ Erst da bemerke ich, dass sie gar nicht auf die Tüte sondern meine Hand gestarrt hat und im Versuch ihr zu antworten verschlucke ich erstmal mein Brötchenstück. Darauf trage ich ihr Zeug in den Zug und verabschiede mich von ihr.
Die Zugfahrt verläuft ruhig und pünktlich um zehn Uhr stehe ich voller Vorfreude und Spannung am Bahnhof Kaiserslautern, fehl nur noch Schokolade und was zum Spielen. Prompt taucht Joshua auf und gemeinsam machen wir uns auf den Weg zum Ort der Unterweisung, an dem absolut noch niemand weit und breit zu sehen ist. Aber als wir etwas später das zweite Mal den Weg zur Halle beschreiten, finden wir dort eine offene Tür und zwei offene Herzen vor, die uns begrüßen. Die Halle füllt sich und wir sind schließlich bereit zu beginnen. Wie auch letztes Mal lauschen wir ergriffen den Worten Shi Yan Chengs, die alte Lehren mit dem Heute verbinden. So erzählt er uns auch die Geschichte vom Anfang, vom Müssen und Können und davon, dass wir unsere Ziele richtig zu formulieren haben, um sie besser erreichen zu können. Zu den Lehren gesellen sich auch wieder Vorübungen für Qi Gong und das Kennenlernen der Möglichkeiten des eigenen Körpers. Auch an praktischen Demonstrationen herrscht kein Mangel und so bin ich sehr überrascht, als es schon drei Uhr wurde und sich das Seminar dem Ende neigt. „Ich will nicht, dass es zu Ende ist!“, quengelt es in meinem Kopf, als sogleich Shi Yan Cheng erläutert, dass etwas zu begehren nicht so gut ist, wie sich dazu entscheiden zu können, es gerne zu haben. Und auch ist mein Gedanke ungünstig formuliert, denn besser wäre: „Ich will, dass das Seminar noch lange weitergeht.“, also positiv formulieren, nicht negativ. Aber hey, wieder viel gelernt und darauf kommt es ja an. So neigt sich der Tag auch schon dem Ende entgegen, es war mal wieder sehr erfüllend und ich freue mich schon auf den nächsten Workshop. Nachdem nun fast vier Uhr geworden war, werden noch jede Menge Gruppenfotos gemacht und sich herzlich verabschiedet. Vier von uns, also wir drei aus der Tai Chi Akademie Kaiserslautern plus unser Motoradritter, den wir damals in Berlin kennenlernten, ließen den Tag noch mit einer Dinosafari samt Eis ausklingen. ( Dinosafari = Besuch des Gartenschaugeländes )

2. Katrin beim Training im Shaolin Tempel in Berlin

Katrin beim Training im Shaolin Tempel in Berlin

Wieder am Kaiserslauterer Bahnhof angekommen ist die Nacht schon fast hereingebrochen und schmerzlich werde ich ein letztes Mal für diesen Tag erinnert: Ich muss den Weg nach Hause antreten – in meinen Gedanken zählt eine leise Stimme bereits mit und kommentiert: „erstes Mal Müssen“. Die Bahn muss natürlich Verspätung haben und zwanzig Minuten unmotiviert in Neustadt stehen, um auf einen eventuell zu spät kommenden ICE zu warten, von dem wahrscheinlich bis heute niemand etwas gesehen hat – wieder meldet sich die Stimme in meinem Kopf, diesmal mit sarkastischem Unterton: „zweites Mal Müssen, was kommt wohl als drittes?“. Die Leute in der Bahn müssen ihrem Unmut Luft machen, durch das ganze Abteil brüllen und wild mit unschönen Worten wie ein versehentlich in Rage geratener Berserker um sich schlagen – die Stimme kommentiert etwas ungehalten, ob der Situation, aber mit spöttischem Lachen: „Warum müssen die ausgerechnet DAS müssen? Naja, jetzt ist deine Chance gekommen, wende das Gelernte an … was KANNST du?“. Und mit einem lächeln antworte ich: „Ich kann mich davon nicht beeindrucken lassen.“, und mit diesen Worten stecke ich mir meine Kopfhörer mit Musik in die Ohren, lasse die deutsche Bahn eben Deutsche Bahn sein und erfreue mich an den Erinnerungen dieses lehrreichen Tages.

In diesem Sinne,
eure Katrin Kowalski.

Wir bedanken und herzlich bei Shi Yan Cheng für den Workshop und bei Katrin für diese schönen Zeilen.

So lieber Leser,
welches Müssen hat dich heute beschäftigt und wie bist du damit umgegangen? Welches dürfen hat dich heute begeistert?
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Alles Gute und bis zum nächsten Mal
dein Team der Tai Chi Akademie