Anwendungen in unserem Tai Chi Chuan und Kung Fu Training
Hallo Zusammen,
hier ist mal wieder Jörg Roth mit dem neuen Post in unserem Kampfkunstblog.
Ich möchte heute auf eine wichtige Gemeinsamkeit in den beiden Kampfkünsten Tai Chi und Kung Fu eingehen.
Sie tragen beide Ihren Ursprung in der aktiven Kampfanwendung. Dieser Punkt wird fälschlicher Weise, meist mit dem Kung Fu Training in Verbindung gebracht und selbst dort immer mehr vernachlässigt.
Meiner Meinung nach, muss ein Schüler der traditionellen Kampfkünste beachten, dass jeder seiner geübten Bewegungen eine Kampfhandlung zu Grunde liegt.
Es bringt nicht viel nur die Bewegungen nachzuformen, die der Lehrer oder Meister zeigt. Man muss sie ergründen und den Abfolgen selbst Leben einhauchen. Wenn man dies nicht berücksichtig, wird aus den Kampfkünsten, schnell ein stumpfes Kraft- oder Entspannungstraining, ohne Ursprung und Seele.
Das Wissen über die Anwendung der Formen, ist mir auch aus praktischen Gründen im Unterricht, sehr wichtig.
Ich stelle immer wieder fest, dass ich eine neue Form nur verinnerlichen und erfolgreich reproduzieren kann, wenn mir die Kampfhandlung mit einem oder mehreren Gegnern bewusst ist. Fehlt mir dieses Wissen, verliere ich sehr schnell den roten Faden oder mache unnötige Haltungsfehler.
Wenn ich mir z. B. bewusst bin, dass der auszuführende Bewegungsablauf in einem Schlag gegen das Jochbein meines Gegners endet, ich vorher seinen Fußangriff zu meiner Mitte parieren werde, wird mir schnell klar, warum ich genau die verlangte Haltung einnehmen muss. Der daraus resultierende Bewegungsablauf meiner Arme und Hände, endet dann in dem verlangten fokussierten Schlag.
Auf diese Weise entstehen weniger Fehler und die Form bekommt einen eigenen Charakter. Sie ist nicht nur kopiert, sondern verinnerlicht, verstanden und durch das eigene Gefühl geprägt.
Einer der Meister mit denen ich arbeitete, hat mir folgendes gesagt:
„Ich zeige dir heute meine Form und wenn du sie bis nächste Woche mit den Anwendungen übst, zeigst du mir deine Form.“
Das heißt nicht, dass man die traditionellen Formen nach Lust und Laune ändern kann, man sollte sie nur beseelen.
Meister Adelino Rondalli gab mir dazu folgenden schönen Satz mit auf den Weg: „Tradition heißt das Feuer lebendig zu halten und nicht nur die Asche zu bewachen.“
Im Rahmen dieses Leitsatzes, kann man innerhalb einer Form die eigene Persönlichkeit einfliessen lassen. Hierbei werden der Grundstamm und der dazugehörige Ablauf einer traditionellen Form nicht verändert.
Interpretationsmöglichkeiten liegen z.B. im Wechselspiel zwischen Spannung und Lockerheit und zwischen Energie und Ruhe.
Ich verbinde beim Formtraining immer so viele Bewegungen, wie sie zu der angewandten Technik an einem angreifenden Gegner gehören. Dann kehre ich kurz in mich und fokussiere mich auf den nächsten Angriff. Das ist mein Stil.
In China geht es mittlerweile meist nur um KWAI KWAI – Schnell, Schnell.
Natürlich sollte eine Form in ihren Bewegungen eine angemessene Geschwindigkeit aufweisen. Doch sollte sie meiner Meinung nie so schnell sein, dass der Zuschauer keinerlei Technik erkennen kann, Sauberkeit der Bewegungen kaschiert werden oder sich sogar technische Unsauberkeiten einschleichen.
Hinzu kommt, dass stressiges durchrennen einer Form den Kämpfer und Zuschauer erschöpft. Der Zuschauer z.B. verliert schnell das Interesse an der dargebotenen Vorstellung, wenn er ihr nicht mehr folgen kann.
Für mich selbst verliert eine zu schnell ausgeführte Darbietung oft die Schönheit und Eleganz.
Nun noch zum Tai Chi im Besonderen.
Immer wieder wird diese wundervolle Kampfkunst zu einer AOK-Bewegungstherapie verunstaltet. Dabei ist diese Kampfkunst in Ihren Techniken oft brutaler und effektiver, als die mir bekannten Anwendungen aus dem Kung Fu.
Ja, es geht im Tai Chi um die Gesunderhaltung des Körpers, aber seine Uridee war der Kampf gegen stärkere Gegner ohne die Aufwendung von Lebensenergie.
Es geht hier also darum siegreich zu Kämpfen, ohne sich dabei zu erschöpfen und um das Üben dieser Fähigkeit. Es ist das Ziel bei geistigen und körperlicher Anstrengung oder Gefahrensituationen niemals die innerer Balance zu verlassen.
Immer wieder war das Kampfkunsttraining in China verboten. In dieser Zeit ließ man den kämpferischen Aspekt des Tai Chi Chuan nur noch hinter vorgehaltener Hand zu.
Es war ein gut gehütetes Geheimnis, dass die Bewegungen, die im Einklang mit der chinesischen Medizin und in völliger inneren Ruhe ausgeführt wurden, eigentlich aus wirkungsvollen Kampfhandlungen bestehen und nicht nur zur Gesundung von Geist und Körper dienen sollten.
Mich würde es sehr freuen, wenn dieser Aspekt im Tai Chi Training endlich wieder mehr gefördert werden würde und aus Tai Chi vermehrt wieder die wundervolle Innere Kampfkunst wird, die sie von Tradition aus ist.
Dazu möchte ich euch noch einige Filme mit auf den Weg geben, die zwar wie viele cineastischen Filme übertrieben sind, aber in denen vorwiegend Techniken aus dem Tai Chi zum Kampf genutzt werden.
Tai Chi aus dem Jahre 1993 mit Jet Li
Tai Chi Zero und sein Nachfolger Tai Chi Hero
Man of Tai Chi, welcher unter der Regie von Keanu Reeves derzeit die Kinosääle füllt.
Vielleicht regen diese Filme dazu an, hinter den Informationsprospekt der Krankenkassen oder den
in der Reha‘ angebotenen Tai Chi Kurs zu blicken und auch mal die kämpferische Natur dieser alten und wundervollen Kampfkunst zu erleben.
Auch heute möchte ich mit einem traditionellen Satz Abschließen und wünsche euch viel Spaß beim Trainieren.
Wer regelmäßig Tai Chi Chuan übt, der wird geschmeidig wie ein Kind, gesund wie ein Holzfäller und so ruhig und gelassen wie ein Weiser“.
Alles Gute
Jörg Roth