Shaolin Tempel, Provinz Henan/China
Tagebuch von Jörg Roth – 12. April 2013
Der Wecker klingelt um 4.30 Uhr.
Das ist wirklich nicht meine Zeit. Ein weiser Mann hat mal zu mir gesagt, der Tagesablauf eines Musikers sollte folgender Maßen sein.
Einstellig zu Bett gehen und zweistellig aufstehen!
Aber das ist hier wohl nicht möglich, sonst würde ich sogar das erste Training verschlafen.
Also raus aus den Federn und die geplagten Beine davon überzeugen, dass sie auch am 5. Trainingstag noch meine 72 Kilo zu tragen haben. Jedoch habe ich mittlerweile das Gefühl, dass meine Beine selbst 72 Kilo wiegen.
Kurze Zeit später treffe ich Adele im Gang unseres Gästehauses. Sie sieht fitter aus als ich, verdammt!
Naja, was soll´s!
Es wird schon langsam knapp, also sputen wir uns den Berg hinunter zum Tempel.
Wir kommen dieses mal wirklich knapp, gegen 5 vor 5 Uhr an der Zeremoniehalle an und ziehen fast im gehen unsere braunen Leihenroben an. Ein freundlicher Mönch zeigt uns unsere Plätze und schon beginnt der erste Glockenschlag.
Der Innenraum der Buddhahalle ist mit Kerzen beleuchtet, was den darin befindlichen Statuen der Buddhas und Bodhisattvas etwas wirklich magisches verleiht. Zusammen mit den dumpfen, basslastigen Schlägen des riesigen Holzfisches, den Glocken, Rahmentrommeln, der ca. 50 cm hohen und fast 80 cm breiten Klangschale sowie den Stimmen der Mönche wird ein unbeschreibliches Gefühl im Herzen geweckt. Das Gefühl von wirklichem inneren Frieden.
Ich könnte Stunden hier sitzen und zuhören. Einige der Lieder kenne ich aus dem Tempel in Berlin, aber viele unterscheiden sich oder haben komplett andere Melodien.
Nach einer dreiviertel Stunde kleiner Wunder, gehen wir zurück zu unserer Unterkunft auf dem gegenüberliegenden Hügel des Tempels und nach einer heißen Dusche gehe ich in den Frühstücksraum. Dort gibt es wie fast jeden Morgen, Eier, gebratenes Gemüse und eine Art Dampfnudel als Brötchen. Ich finde die Dinger unglaublich lecker und werde sie wohl in Deutschland vermissen.
Dann ist es auch schon 8 Uhr vorbei und wir laufen den wohl bekannten Weg zum Seiteneingang des Tempels hinunter.
Dort herrscht schon wieder reger Tourie-Betrieb, obwohl die mittleren Hallen erst um 9 Uhr für die Besucher geöffnet werden.
Im Training stelle ich langsam fest, dass der Tempelhügel, den wir zum aufwärmen rauf und runter laufen müssen, mit jedem Tag steiler zu werden scheint. Außerdem, macht mir meine Zerrung sehr zu schaffen.
Aber Augen zu und durch, nach einer halben Stunde aufwärmen und dehnen, beginnen wir wieder mit den alltäglichen Grundtechniken. Hierbei habe ich es heute sogar geschafft, dass unser Meister kurz ungehalten wurde, was durch einen scharfen Blick und eine fordernde Handgeste in Erscheinung trat.
Aber verdammt noch mal, 2 Minuten in der Brücke stehen und dabei nicht zusammenbrechen ist nun mal für jemanden, der so beweglich ist wie ein Kantholz, echt anstrengend. Als mir die Arme eingebrochen sind und ich mit dem Kopf voraus wie ein Sack zu Boden gegangen bin, hatte ich nicht mal die Zeit mich zu sortieren, als schon das ungehaltene Zischen neben mir zu hören war.
Also eins ist sicher, Fußballer hätten hier im Temple keinen Spaß, ein ewiges hin und her rollen und jammern während dem Spiel würde hier eher belächelt als mit Mitleid belohnt.
Anschließend beginnt das Formtraining und um 11 Uhr sind schon zwei Herausforderungen gemeistert. Aufstehen und das erste Training.
Wir gehen also in den öffentlichen Essbereich des Tempels und schauen was es heute leckeres gibt.
Dort wird mir wieder eins klar. Chinesisch ist eine merkwürdige Sprache und ohne Adele und ihre Kenntnisse darin, wäre ich hier wie ein Fisch auf dem trockenen.
Als wir uns eine Suppe bestellen, bekommen wir auf einmal eine Dose Zucker auf den Tisch gestellt. Warum?
Ganz einfach das Wort für Suppe ist TANG und das Wort für Zucker auch, aber mit einer anderen Betonung auf dem A. Echt klasse.
Nachdem Essen nutzen wir die freie Zeit bis 14 Uhr und legen uns auf dem Stufen der Dharmahalle in die Sonne. Es ist heute verdammt warm geworden und mir graust es fast vor dem Training.
Und dann beginnt es auch schon:
Der Tempelhügel ist in der Mittagshitze bei ca 30 Grad, wirklich ein erstzunehmender Gegner, zusammen mit meinem Muskelkater und der Verletzung wird er heute zu meinem erklärten Erzfeind.
Ziemlich kläglich jammernd überlebe ich aber auch dieses mal das Aufwärmtraining und darf endlich wieder mit meiner geliebten Hellebarde tanzen, auch wenn ich langsam das Gefühl habe, dass sie die 7 Kg lange hinter sich gelassen hat und mittlerweile mindestens 10 Kg wiegt.
Spannend finde ich aber, dass ich mir anscheinend eine sehr exotische Kampfform herausgesucht habe, denn der ganze Tempel besitzt nur ein Exemplar dieser wundervollen Waffe und sehr viele der Mönche finden es sehr spannend, dass ein Typ wie ich die Guan Dao lernt. An mein Erscheinungsbild haben sie sich ja langsam schon gewöhnt, aber dieses Metallmonster ist immer noch eine Sensation.
Nach dem Training geht unser Meister mit uns zum neben dem Tempel gelegenen Shaolin-Kultur-Zentrum für Touristen. Es ist hier wie Disneyland, aber ich bin wirklich froh, dass diese Tourieunterhaltung hier angeboten wird und nicht nebenan im echten Tempel.
Wir sind aber hierher gekommen, da uns unser Meister Da Zhi eine Shaolin Show für die Touristen zeigen möchte. Im Tempel selbst gibt es so etwas nicht und die hier auftretenden Jungs, sind auch keine Mönche sondern Schüler der angrenzenden WU Shu Schule.
Dank Da Zhi müssen wir uns nicht anstellen sondern kommen mal wieder durch den Seiteneingang rein und somit haben wir noch bevor die Schlange der Besucher eintritt, die besten Plätze für die Show. Vitamin B ist eben schon was tolles.
Was man von der Show nicht behaupten kann, gezeigt wird der Standart einer Shaolin WuSHU Akrobatikshow ausgeführt von mittelmäßigen Sportlern. Zu deutsch, das war die schlechteste Kung Fu Show die ich je gesehen hab.
Da Zhi und Adele sind der gleichen Meinung. Aber was soll´s. Irgendwie ist es auch aufbauend, dass die Jungs nicht wirklich besser waren als wir selbst, aber als die ganz tollen dargestellt, die Masse begeistern konnten. Das spornt doch an.
Nun ist es fast 19 Uhr vorbei und wir beenden den Abend mit Qi Gong im Sonnenuntergang und scharf gebratenen Maiskolben.
Um 21 Uhr liege ich ziemlich platt im Bett und schreibe diesen Text.
Ich bin gespannt was der morgige Tag so an Überraschungen für uns bereit hält.
Jörg Roth