Selbstverteidigungstechniken für Kinder
Herzlich Willkommen zu einem weiteren Eintrag im Kampfkunstblog der Tai Chi Akademie.
Heute möchte unser Trainer, Jörg Roth, ein sehr ernstes Thema ansprechen:
Hallo, hier ist mal wieder Jörg Roth von der Tai Chi Akademie Kaiserslautern. Wie immer stützt sich dieser Text nur auf meine persönlichen Erfahrungen im Training. Zu diesem Thema hielt ich vor 2 Monaten einen 1-wöchigen Workshop an der Grundschule Morlautern. Da mir der dortige Unterricht sehr viel gebracht und gelehrt hat, möchte ich dieses Themengebiet auch nicht in einem kurzen Text abfertigen, sondern in mehreren Teilen veröffentlichen. Nicht nur, um dir als Leser Zeit zu sparen, sondern auch um die Möglichkeit für Diskussionen und Anregungen zu schaffen.
Teil 1:
Was Eltern und Kinder glauben:
Zu Beginn des Seminars fragte ich Kinder aus 5 Klassen – 1., 2., 3. und 4. Klasse, was sie tun würden, wenn sie von einem Erwachsenen angegriffen werden. Zu einigen der Antworten gehörten u. a.:
- Um Hilfe rufen
- FEUER rufen
- In den Bauch boxen
- Zwischen die Beine treten
- ans Schienbein treten
Natürlich hatten die Dritt- und Viertklässler noch viel ausgefallenere Ideen. Oft wurden diese Ihnen aber auch von den Eltern mit auf den Weg gegeben. Ich überlegte mir, wie ich sie davon überzeugen kann, dass außer dem Rufen all diese Ideen in der Realität leider nur bedingt Erfolg haben. Schließlich entschied ich mich zu einem Feldtest. Als erstes wählte ich die stärksten Vertreter aus jeder Klasse und stellte mich vor sie. Sie sollten all ihre Hilfsmittel, die sie mir vorher aufgelistet hatten, anwenden.
Das Ergebnis war für mich – sowie für die Kinder sehr ernüchternd. Nicht mal zu Zweit konnten die Schüler Treffer gegen mich erzielen, geschweige denn sich hilfreich verteidigen. Erst ab 3 Kindern, die intelligent und gemeinsam vorgingen, wurde es für mich gefährlich. Sie waren nicht zimperlich, ich meine man kann sich ja denken was passiert, wenn Jungs folgenden Satz gesagt bekommen:
ALLES IST ERLAUBT! Dennoch war außer dem Angriff von 3 oder mehr Schülern (Gruppe) nicht eine Chance für die Kinder zu erkennen.
Im nächsten Schritt begann ich mit den Kindern einige anerkannte Verteidigungstechniken auszuprobieren. Auch hier war leider schnell klar, dass diese wunderbar in der Theorie funktionieren aber mit der Wahrheit nicht einmal am Rande etwas zu tun haben. Ich bin nach der Woche in der Grundschule Morlautern der ernüchternden Meinung, dass die so oft angepriesenen Kinderselbstverteidigungstechniken in das Reich der Mythen und Legenden gehören. Dieses Ergebnis bekräftigte alles, was ich schon im Kindertraining unserer Akademie erkannt hatte. Es gibt leider keine wirksame Verteidigungstechnik für Kinder unter 12 Jahren. Nur die Gemeinschaft und das Intelligente Nutzen aller Stärken und Schwächen der Gruppenmitglieder kann Kindern in Extremsituationen helfen.
Dies sind meine Erkenntnisse zur Kinderselbstverteidigung:
- Falsche Selbstsicherheit ist schädlich.
- Im Halbwissen ausgeführte Schläge oder Tritte sind für das ausführende Kind gefährlicher, als für den Erwachsenen Angreifer.
- Kinder haben bei weitem nicht genug Kraft, um einen Erwachsenen zu verletzen.
- Eltern sollten alle Verteidigungsvorschläge mit den Kindern im Spiel austesten
- Zuhause sollte anhand von Fallbeispielen das Verhalten in Extremsituationen geübt werden.
- Sportliche Kinder haben bessere Chancen, da sie beweglicher, agiler und schneller sind. Ob Fußball, Karate, Bodenturnen oder andere Sportarten, Kinder die gute Körperbeherrschung
besitzen wissen sich schneller zu helfen. Die Reaktionsgeschwindigkeit ist höher und sie sind nicht ängstlich. - Am allerwichtigsten ist folgender Satz: Bei gewissen Tageszeiten – oder Orten „You never walk alone“! Oder auf Deutsch: Niemals alleine unterwegs sein! Das gilt eigentlich genauso für
Erwachsene.
Am Ende dieses ersten Teils bin ich natürlich wahnsinnig auf deine Erfahrungen und Meinungen zu diesem kontroversen Thema gespannt. Ich freue mich über Kommentare und Diskussionen und natürlich über das Teilen dieser Zeilen. Was wirklich etwas gebracht hat, möchte ich dir gern das nächste Mal erzählen.
Alles Gute,
Jörg Roth und das Team der Tai Chi Akademie