Herzlich Willkommen zu unserem neuen Blogeintrag. Jörg Roth möchte dich heute zu einer kleinen Tai Chi Chuan Übung einladen. Viel Freude beim Lesen.
Da verweilt der Übende in der Betrachtung des Körpers.
Der Thatagata sprach in der Satipaṭṭhāna Sutta (Rede über die Grundlagen der Achtsamkeit) : Da verweilt der Übende beim Körper in Betrachtung des Körpers…..Dieser Satz hat mich eine ganze Weile beschäftigt. So richtig verstanden habe ich ihn erst, als ich von meinem geistigen Mentor ( Curtis Clavin Dittrich) die Aufgabe bekam, den Satz, mit meinem Tai Chi Training zu verbinden. Wie so oft in meinem Leben konnte ich den Sinn der Worte erst durch die praktische Umsetzung klarer verstehen.
Jörg Roth trainiert Kung Fu, Tai Chi und Qi Gong in unserem Verein
Ich möchte nun versuchen, meine Erkenntnisse anhand meiner Erfahrung mit dir zu teilen.
Im Tai Chi Chuan Unterricht wurde ich immer wieder darauf hingewiesen, dass ich mich zu schnell und zu steif bewege. Erst nach und nach habe ich verstanden, was mein Meister damit meinte. Es gibt so viele Feinheiten in den Bewegungen, so viele Kleinigkeiten die beim Üben immer wieder der Hektik zum Opfer fallen. Meist ist es sogar unser fehlendes Einfühlungsvermögen oder unsere Selbstüberschätzung, die sich uns in den Weg stellen. Hast du schon einmal versucht, so langsam zu gehen, dass dir jede kleinste Bewegung deines Körpers in dem ach so vertrauten Ablauf des Gehens ersichtlich wird?
Es ist wirklich erstaunlich, wie viele Muskelgruppen aktiv sind und was unser Wunderwerk Körper in einem so kurzen Moment für komplexe Bewegungsmuster durchläuft, ohne dass wir uns darauf konzentrieren müssen. Im Tai Chi ist es genauso. Ich möchte die Vielfalt der wichtigen Kleinigkeiten an den ersten zwei Bewegungen einer Yang Tai Chi Chuan Form verdeutlichen. Als ich mich darauf einließ, die Bewegungen wirklich langsam auszuführen, wurden aus diesen zwei Bewegungen auf einmal unendlich viele…
Das öffnen des Chi.
Darunter verstehen wir, rein körperlich, das Anheben und Senken der Arme, wobei die geschlossenen Beine in einen Schulterbreiten Stand bewegt werden.
Wenn man es aber genauer betrachtet, passiert jedoch viel mehr bei dieser so simpel aussehenden Übung…
– Um die Übung einzuleiten lasse ich meinen Atem 3 mal ein und ausströmen. Beim nächsten Einatmen lasse ich mich etwas in die Knie einsinken. Die Schultern hängen locker herab. Der Kopf ist gerade und aufrecht. Die korrekte Kopfhaltung kann ich durch ein leichtes Absenken des Kinns erreichen, wobei der Schädelmittelpunkt ( Bai Hui Punkt ) zum höchsten Punkt des Körpers wird. Während dieser Haltungskorrektur kippe ich das Becken leicht nach vorn und spüre wie mein Rücken gerade wird. Von ganz allein beginnt die Wirbelsäule nun mein Gewicht völlig verspannungsfrei zu tragen. Die Füße belaste ich gleichmässig. Ich spüre nach, wie mein Körpergewicht auf ihnen verteilt ist. Ich erlebe wie stabil mein Stand hierbei wird. Erst wenn ich nachgespührt habe, dass meine Zehen flach aufliegen und alle Fußregionen gleichsam belastet sind, bewege ich mich weiter.
– Ich verlagere meinen Schwerpunkt, indem ich mit dem linken Fuß leicht gen Boden drücke und verfolge, wie mein Körpergewicht auf den rechten Fuß wandert. Ich überprüfe kurz meine Haltung und bewege meine Hände zur Körpermitte. Die abstrahlende Wärme der linken Hand lässt mich wahrnehmen, das nun die linke Handfläche mit etwas Abstand oberhalb des rechten Handrückens ruht. Nun hebe ich die Hände bis zu meiner Armbeuge an. Sofort fällt mir auf, wie meine Schulter und meine Beckenhaltung sich verändern möchten. Ich unterbinde dies, indem ich mich darauf konzentriere, wirklich nur meine lockeren Hände anzuheben. Schon stellt sich wieder Entspannung im Oberkörper ein. Ich lasse die Schultern gänzlich unbeteiligt.
– Nun hebe ich den linken Fuß leicht an und lasse ihn gemeinsam mit der linken Hand nach links zu einer schulterbreiten Stellung gleiten. Auch hier beginnen alle Bewegungen in der Hüfte. Ich achte darauf, dass Fuß und Hand sich synchron bewegen. Als ich diese Bewegung so langsam wie noch nie zuvor ausführe wird mir bewusst, dass wirklich die komplette Bewegung in der Hüfte wurzelt und ich diesen gesamten Ablauf normalerweise innerhalb der ersten Einatmung durchführe.
– Mit der ersten Ausatmung setzte ich normalerweise den linken Fuß sanft, mit der Ferse voraus, wieder auf dem Boden ab und lasse die Hände sinken. Doch möchte ich die detaillierte Aufzählung hier beenden, um den Rahmen nicht komplett zu sprengen.
Auch im Shaolintempel in China durfte Jörg seine Tai Chi Kenntnisse vertiefen
Jedes Mal wenn ich die Übung wiederhole, fallen mir weitere Muskelbewegungen auf. Je nach Tagesform und Verfassung ist das Ergebnis wieder anders. Als ich die Übung mit meinen Mitschülern versuchte, war unser Ergebnis nie ganz deckend. Nur eines war vergleichbar.
Der Nutzen der Übung. Schon beim zweiten Versuch stellte sich eine Beruhigung des Körpers ein. Ich möchte sogar sagen, dass ich mit dieser Übung, das erste Mal beim Tai Chi ein meditatives Erlebnis hatte. Auch wurde die mir schon immer schwerfallende Entspannung der Muskulatur von ganz alleine erreicht. Die Bewegungen wurden mit jedem Mal fließender und wirkten für mich immer natürlicher. Nach und nach wurde die Form unwichtig. Die Freude an den kleinsten Feinheiten wurde zum Hauptgrund der Übung.
Nach und nach bemerkte ich, dass Tai Chi keine Technik direkt ist, sondern eine Ansammlung von Prinzipien. Es ging im Training nie um die Abläufe, sondern um das energetische Fließen und Bewegen des gesamten Menschen. Dies ist wohl, was man wirklich unter ganzheitlichem Training versteht. Diese Prinzipien stehen allen Menschen zur Verfügung. Da geht es nicht um körperliche Kraft oder um möglichst schöne Bewegungen. Es geht nur um das Verstehen und Zulassen von Möglichkeiten.
Natürlich muss jeder im Unterricht zunächst die körperliche Bewegung erlernen. Es muss klar werden, in welcher Reihenfolge die Übungen aufeinander folgen. Die wirkliche innere Kampfkunst Tai Chi Chuan beginnt meiner Meinung nach aber erst, wenn wir unser Erlerntes über Jahre vertiefen und den Mut haben uns auf die Übungen wirklich einzulassen. Ich möchte das Training gern in zwei Bereiche aufteilen.
Der erste Bereich ist das Training des Körpers:
Hier muss sich der Schüler komplett auf die Bewegung konzentrieren, um dem Körper keine falschen Haltungen anzugewöhnen. Ich habe das Gefühl, dass uns dieser Punkt so schwer fällt, da wir verlernt haben uns auf natürliche Bewegungen und Haltungen zu verlassen. Wir halten unseren Körper in den Ketten der anerzogenen Positionen der Mode und ähnlichen Unnatürlichkeiten. Es ist uns anerzogen, sich zu fügen und sich zu verbiegen um dem Standard zu genügen. Jedoch gilt auch hier, dass Schwerfallendes zuzulassen und zu erlauben, Freiheit und Zufriedenheit steigert – nicht nur im körperlichen Sinne.
Der zweite Bereich ist das Training der Energie:
Selten trifft man als Schüler auf Menschen die das Tai Chi wirklich gemeistert haben. Bei Ihnen geht es nicht mehr um Abfolge oder Bewegungen. Jedes Prinzip des Tai Chi ist von diesen Meistern über Jahre verinnerlicht worden und bedarf keiner äusserlichen Anleitung mehr. Alle Bewegungen sind völlig natürlich und kommen aus ihrem eigenen Inneren. Diese Menschen bewegen sich ganz und gar ohne Anstrengung, ohne jegliche Mühe. Für sie ist Kraft kein erstrebenswertes Prinzip. Sie sind nur noch Energie.
Großmeister Adelino gab mir hierzu folgendes mit auf den Weg:
Kraft sollte niemals gesucht werden. Energie hingegen ist bei allen Dingen erstrebenswert.
-Ein Stein liegt auf der Erde und wird durch die Anziehungskraft auf der Stellen gehalten. Hebst du ihn hoch, benutzt du dazu Kraft. Wenn du ihn nun fallen lässt, gibt diese Kraf ihm die Energie eine Delle in den Boden zu schlagen. –
Weitere Ausbildungsorte von Jörg sind der Shaolin Tempel Berlin und das Shaolin Zentrum in Bielefeld.
Allen Übenden und auch mir selbst wünsche ich, irgendwann den Schritt von Kraft zu Energie zu meistern. Ich möchte Großmeister Adelino Rondalli und meinem Mentor Curtis CLavin Dittrich für die Anregung zu diesem Text danken. Das erarbeiten hat mir viel Verständnis und Freude bereitet.
Bis zum nächsten mal,
alles Gute
Jörg Roth.
Wie hat dir der Beitrag gefallen? Versuche doch einmal, eine für dich ganz natürlich gewordene Bewegung derart meditativ zu erleben. Das anheben einer Tasse oder das binden deiner Schuhe? Wie tief schaffst du es in deinen Körper hinein zu spüren?
Lass uns an deinen Erkenntnissen teilhaben und schreibe uns einen Kommentar.
Wir sind gespannt auf dein verweilen in der Betrachtung des Körpers.
Alles Gute und bis zum nächsten mal.
Dein Team der Tai Chi Akademie Kaiserslautern.